Über diesen Blog
Nennt mich Adelard
Einst, bevor ich durch den Weltenwirbel von Lyra nach Gaea gelangte, war ich Adelard, Sohn von Strejtman Vinstur, aus der Skifje von Västerfjorr. Ich war ein Scelaige, ein Auserwählter des Träumenden Gottes Fabbri.
Heute bin ich Addy, der Gestrandete. Ich schlage mich durch eure dröhnende Welt, im Wissen, dass ich meine Heimat niemals wiedersehe. Ich verdiene mein Brot mit den Hautbildern, die ich steche, und mit den Zeilen, die ich schreibe. Mein Manager nennt es Tätowieren und Bloggen.
Ein Scelaige ist ein Geschichtenerzähler. Ich berichte von den Bildern, die mir Fabbri im Schlafe schenkt. Es ist mir Trost und Rätsel zugleich, dass mich die Träume meines Gottes selbst in eurer Welt erreichen. Da sie das Einzige sind, das mich noch mit meiner Heimat verbindet, werde ich die Pflicht des Scelaige ehren und meine Geschichten all jenen erzählen, die sie hören wollen. Nur so kann ich den Funken der Hoffnung nähren, dass mir die Götter dereinst eine Rückkehr nach Lyra gewähren.
Das Emon
Bevor ich euch die Geschichte des zerbrochenen Prinzen erzählen kann, müsst ihr mehr über das Emon erfahren. Jedes denkende und fühlende Wesen, das auf Lyra geboren wird, besitzt ein Organ im Unterleib, das euch fremd ist: das Emon, den Thron der Gefühle. Das Emon lässt uns Freude und Trauer empfinden, Angst und Zorn, Begierde und Abscheu, Liebe und Hass. Ihr mögt einwenden, dass ihr diese Gefühle sehr wohl kennt. Dass ihr einige davon einem anderen Organ zuschreibt, nämlich dem Herzen. Und dass ich mich nicht so aufspielen soll, bloss, weil ich aus einer fremden Welt stamme und ein faustgrosser Klumpen in meiner Bauchhöhle sitzt, den ihr nicht habt. Lasst mich erklären.
Gefühle tragen Kraft in sich. Ihr könnt diese Kraft erahnen, wenn ihr Teil einer Menschenmenge seid und einem begabten Redner lauscht, der den Zorn der Zuhörer schürt. Wenn ihr eine Horde von Wettkämpfern beobachtet, die für eure Farben den Sieg erringt. Oder wenn der Funke der Panik um sich greift und alle zur gleichen Zeit zum Ausgang stürmen. Was ihr da erahnt, ist nur die Spitze des Speers.
Ein waches Emon ist in der Lage, die Kraft der Gefühle zu bündeln und damit die Welt zu verändern. Wenn sich ein Lyraner so sehr fürchtet, dass er um sein Leben bangt, dann kann sein Emon diese Angst dazu nutzen, ihn zu retten: Es lässt ihn besser hören, schneller laufen, weiter springen, als er es jemals könnte, wenn er keine Furcht verspürte. Es lässt ihn im Dunklen sehen, als wäre er eine Katze, oder steile Wände erklimmen, als wäre er eine Spinne.
Doch nicht jeder, der ein Emon in sich trägt, kann solche Wirkungen hervorrufen. In unserer Kindheit steckt das Emon in tiefem Schlummer. Es lehrt uns zwar vom ersten kläglichen Kreischer an, unsere Gefühle zu äussern, doch damit kratzen wir bloss an der Schale. Die süsse Frucht der Emonie verschliesst sich uns, bis das Emon erwacht. Und bei der Mehrheit der Lyraner geschieht dies nie.
Zwei Njördir in Gaea
Die Gaben meines Gottes machen mich zu einem Erwecker: Ich reise durch Lyra und helfe jenen, die versuchen, ihr Emon wachzurütteln. Mit Musik locke ich das Emon meiner Gönner hervor, mit Geschichten knüpfe ich es an ihren Geist, mit Hautbildern binde ich es an ihren Körper. Und mit einem Schlaftrunk stelle ich sicher, dass ich einen Vorsprung auf unzufriedene Kunden habe. Denn nur jedes zehnte Emon vermag ich zu erwecken, und selten hat ein hoher Herr für die Nachricht, er werde für immer ein Profaner bleiben, lächelnd meinen Lohn entrichtet.
Doch nun ist dieser Teil meines Lebens verloren. Ich stecke fest in eurer Welt, einer Welt, so voller Widersprüche zwischen dem was ihr sagt, glaubt und tut. Ihr reist in ferne Länder, doch ihr wisst nicht, wie euer Nachbar heißt. Ihr verehrt Schlankheit als schön, lasst aber zu, dass man eure Speisen mit Zucker vergiftet. Ihr gebt vor, die Natur retten zu wollen, doch kauft ihr ständig neue Dinge, die ihr nicht braucht.
Ich sage dies nicht, um euch zu beschämen. Ich will, dass ihr begreift, wie schwierig es für mich und meinen Gefährten Gudleif war, als wir in eure Welt traten. Und ausgerechnet hier bin ich gefangen, ohne Hoffnung, meine Heimat jemals wiederzusehen. In diesem Blog (ein gar seltsames Wort für ein Tagebuch) werde ich euch erzählen, wie Gudleif und ich nach Gaea gelangt sind.
Ihr werdet hören, wie zwei Njördir versuchen, sich in eurer Welt zurechtzufinden. Ihr werdet erfahren, weshalb ich hier gestrandet bin und diese Zeilen schreibe. Doch ehe ich davon berichte, muss ich euch schildern, was am Tag des Zorns geschah. Lest auf der Startseite die ersten drei Beiträge meines Blogs und erblickt die Welt von Lyra durch die Augen Agadmodars des Weißen, an jenem Tag, als das Undenkbare geschah.